Montag, 24. Januar 2011

Peter Kotte...

sz-online, 24.01.2011:


Wie Stürmer Kotte vom Foto verschwand


Bei Dynamo Dresden durfte er nicht mehr Fußball spielen, aber mit Fortschritt Neustadt schaffte er den Aufstieg. Da wurde er einfach wegretuschiert.

An diesem Bild stimmt etwas nicht. Das erkennt Wolfgang Schmidt auf den ersten Blick. Er hatte die Mannschaft der BSG Fortschritt Neustadt fotografiert, die in der Saison 1981/82 Meister in der Fußball-Bezirksliga Dresden geworden war. Aber als er an jenem 29.Juli 1982 das "Sportecho", eine Sportzeitung in der DDR, aufschlägt, erscheint es ihm verändert. "Ich musste mehrmals hinsehen, weil ich nicht glauben konnte, was passiert war", erzählt der heute 69-Jährige.

Auf dem veröffentlichten Foto fehlte der Stürmer Peter Kotte, das heißt: Auf seinen Oberkörper hatte man den Kopf von Mitspieler Henry Stöber gesetzt, der im Originalbild in der hinteren Reihe links außen stand. Stöbers Rumpf wurde wegretuschiert. "Wir sahen uns ja ein bisschen ähnlich, hatten beide einen Schnauzer", meint Kotte und winkt ab. Es war eben nur eine von vielen Demütigungen, die er damals erdulden musste.

Die Stasi kommt zum Frühstück

Am Montag vor 30 Jahren führte die Stasi Peter Kotte sowie seine Mitspieler Gerd Weber und Matthias Müller ab. Eigentlich sollten die Fußballer von Dynamo Dresden an jenem tristen Januar-Tag mit der DDR-Nationalmannschaft zu einer Länderspielreise nach Südamerika fliegen. Doch auf dem Weg zum Frühstück im Hotel am Berliner Flughafen Schönefeld wurden sie abgefangen. "Man sagte uns nur, es gäbe ein Problem in Dresden, das geklärt werden müsse", erinnert sich Kotte: "Ich hatte keine Ahnung, worum es gehen würde."

In einem Barkas B1000, dem Kleinbus des Ostens, wurden sie nach Dresden gefahren und in eine Stasi-Villa am Großen Garten gebracht. "Wir mussten jeder in ein anderes Zimmer, durften die Tür nicht schließen, und davor stand ein Wachmann." Die ganze Woche wurden sie mehrere Stunden täglich verhört. Unabhängig voneinander. Sie durften sich nicht einmal sehen. Der Vorwurf: geplante Republikflucht. Tatsächlich war den drei Dresdnern beim Europapokalspiel von Dynamo im niederländischen Enschede am 22.Oktober 1980 ein verlockendes Angebot des 1.FC Köln zugetragen worden. Sie sollten jeder sofort 100.000 D-Mark Handgeld bekommen und jährlich 200.000 DM verdienen - gemessen am Sold, den sie als Volkspolizisten je nach Dienstgrad bei Dynamo kassierten, ein Vermögen.

Doch das Geld ist nicht der Grund, wenn Kotte heute manchmal denkt: "Was war ich nur für ein Riesenrindvieh?!" Sie ließen die Gelegenheit verstreichen. "Es gab für mich nichts Schöneres, als Fußball bei Dynamo zu spielen. Und unser Hochzeitstermin stand für den Sommer 1981 auch schon fest. Ich wollte nicht weg." Die Stasi nahm jedoch zumindest Weber nicht ab, dass er die Fluchtpläne aufgegeben hatte.

Das Bezirksgericht Dresden verurteilte ihn unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsentzug. Fast ein Jahr verbrachte er in Frankfurt/Oder hinter Gittern, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Weber lernte Kfz-Mechaniker, durfte sich aber nicht zum Meister qualifizieren. Vor dem Mauerfall flüchtete er mit Frau Steffi und Tochter Franziska über Ungarn in den Westen, lebt heute im Schwarzwald und arbeitet als Industriekaufmann bei einer Versicherungsgesellschaft in Freiburg.

Doch auch die Karrieren von Kotte und Müller endeten abrupt. "Meine schlimmste Angst während der Verhöre war es, dass ich nicht mehr Fußball spielen darf", sagt Kotte. "Es war für mich unvorstellbar, dass man uns wegen einer solchen Kleinigkeit bei Dynamo rauswirft." Schließlich konnte man ihnen lediglich vorwerfen, dass sie die Kontaktaufnahme in Enschede nicht gemeldet hatten.

Eine Flasche Whisky getrunken

Doch in der DDR reichte dieses "Vergehen" für ein Berufsverbot. Von einem Tag auf den anderen durften die Nationalspieler maximal in der Bezirksliga kicken, der dritthöchsten Spielklasse. "Das war ein Schock", sagt Kotte. Mit einer Flasche Whisky hatte er die quälenden Gedanken nach der Stasi-Mangel ertränkt. Aber nun musste er in ein neues Leben finden. Seine Lehre zum Instandhaltungsmechaniker lag auch schon ein paar Jahre zurück. Sein Studium zum Ingenieurökonom für Binnenhandel durfte er nicht fortsetzen, weil er da mit Dynamo-Mitspielern zusammengekommen wäre. Er hätte von vorn anfangen müssen. "Nach drei, vier Jahren? Da ließ ich es sausen."

Ausgerechnet jener Henry Stöber, der später seinen Platz auf dem Mannschaftsfoto einnehmen sollte, holte ihn dann nach Neustadt. Im Musterbau des Landmaschinenkombinates fand Kotte eine Arbeit, bei der BSG Fortschritt eine neue Mannschaft. "Ich hatte gerade angefangen, als der Brief zur Musterung kam."

Mit 27Jahren konnte er nur noch zur Reserve gezogen werden, ein Vierteljahr in Schwerin. "Wir haben nur Wache gestanden." Der Kompaniechef machte ihm sofort klar, dass er nur zu dienen habe und sich nicht einfallen lassen solle, Fußball zu spielen. Allerdings sah der Küchenchef das anders. Er konnte Verstärkung für seine Truppe gebrauchen und schmuggelte Kotte im Jeep aus der Kaserne. "Wir fuhren auf irgendein Dorf, und ich machte beide Tore beim 2:2. Das stand am nächsten Tag in der Zeitung, und ich musste beim Oberst antanzen." So blieb es bei einem Einsatz während der Armeezeit.

Umso besser lief es für ihn mit Fortschritt Neustadt. Mit dem prominenten Neuzugang schaffte die Betriebssportgemeinschaft den Sprung in die zweite Liga. Das Problem: Kotte durfte nicht mit aufsteigen. Matthias Müller, der nach dem Rauswurf bei Dynamo für den Bezirksligisten TSG Meißen spielte, schrieb Gnadengesuche für sich und Kotte bis an DDR-Staatschef Erich Honecker. Ohne Erfolg.

Und so erschien das Foto des Bezirksmeisters Neustadt mit dem Angreifer zwar in der Sebnitzer Lokalausgabe der Sächsischen Zeitung am 25.Mai 1982 und in anderen Regionalzeitungen. Wahrscheinlich waren sie mit dem Abdruck einer politischen Weisung von oben einfach zuvorgekommen. In den überregionalen Sportzeitungen durfte Kotte nicht zu sehen sein. Auch das Fachblatt "Die neue Fußballwoche"/Fuwo veröffentlichte das manipulierte Bild in der Ausgabe vom 10.August 1982. Fotograf Schmidt war entsetzt. "Ich habe einen Beschwerdebrief geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten."

Weitere Manipulationen

Ein ebenso ungeheuerlicher Eingriff in sein Urheberrecht wiederholte sich mit einem Mannschaftsbild von Fortschritt Bischofswerda, das er vor der Saison 1983/84 aufgenommen hatte. Als der Redakteur der Betriebszeitung "Mähdrescher Echo" vom VEB Erntemaschinen Singwitz eine Illustration zu einem Bericht suchte, gab ihm Schmidt das Foto. Doch als er es in der Ausgabe vom 22.August 1984 entdeckte, fehlte Peter Zeuke. Der Spieler hatte inzwischen einen Ausreiseantrag gestellt. "Die Manipulation war relativ einfach, denn zufälligerweisesaß Peter Zeuke auf dem Rasen in der vorderen Reihe ganz außen", berichtet Schmidt: "Mich hat das sehr bedrückt. Man hatte leider keine Mittel, sich gegen solche Machenschaften zu wehren." In einem Vier-Ohren-Gespräch am Biertisch wurde ihm einmal gesagt, es sei politisch notwendig gewesen.

Zeuke lebt inzwischen in Köln. Erst jetzt erfuhr er durch die Nachforschungen von Schmidt, dass er damals de facto ausradiert worden war. Sein Kommentar zu der Fotofälschung: "Ich bin erstaunt und sprachlos. Es ist für mich unvorstellbar, dass Menschen so etwas angeordnet und ausgeführt haben." Doch in der DDR, deren Propaganda über Manipulationen mit Bildern im "kapitalistisch-imperialistischen Ausland" berichtete, war das offenbar gang und gäbe.

Auch Berger ausgelöscht

Von einem weiteren Fall erfuhr Schmidt, der seine Geschichte im privaten Fußballmuseum von Heinz Schölzel in Bischofswerda eingefügt hat, bei einem Forum mit dem 2010 verstorbenen Fußballtrainer Jörg Berger. Als Trainer der DDR-Juniorenauswahl war der Leipziger 1979 mit dem Zug aus Jugoslawien in den Westen geflohen. Nach der Wende erblickte er beim FC Carl Zeiss Jena ein Foto, das auch er besaß. Doch auf dem Bild im Traditionszimmer war er nicht zu sehen. "Das tat weh", sagte Berger zu Schmidt, der seine Leidenschaft für die Fotografie und den Fußball in seiner Kindheit im mittelsächsischen Hartha entdeckte.

Über die Manipulation seines Neustädter Mannschaftsbildes berichteten die Nürnberger Nachrichten bereits am 27.November 1982 unter der Überschrift: "Kotte gibt's nimmer". Der Aufstieg von Fortschritt bedeutete für den dreimaligen DDR-Fußball-Meister den Abstieg in die Kreisklasse. "Ich habe in der zweiten Mannschaft auf den Dörfern gespielt, in Ralbitz-Horka zum Beispiel. Das war durchaus interessant, aber ich hatte natürlich andere sportliche Ansprüche", sagt Kotte: "Ich habe es in Kauf genommen, weil ich die Arbeit in Neustadt nicht aufgeben wollte."

Wegen einer komplizierten Knöchelverletzung war für Peter Kotte im Herbst 1984 endgültig Schluss mit dem Fußballspielen. Er wurde Trainer bei kleineren Vereinen, arbeitete nach derr Wende einige Jahre als Schlosser bei einer Gießerei und ist seit 2003 Hallenwart in der Trainingshalle des Dresdner SC. "Natürlich stellt man sich manchmal die Frage, was gewesen wäre, wenn.?", räumt er ein: "Aber das bringt nichts. Ich habe Arbeit, meine Frau auch - uns geht es also soweit gut."

Dynamo hat die verstoßenen Sportler nach 1990 zu Ehrenmitgliedern ernannt, und Kotte nutzt regelmäßig seine Vip-Karte. "Wenn sie mal wieder ein bisschen höher spielen würden, wäre das natürlich attraktiver", sagt der 56-Jährige. Doch beinahe scheint es, als hätte sich der Bann von einst auf den Verein übertragen, der einfach nicht herauskommt aus der dritten Liga.

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