Sonntag, 16. Dezember 2012

Philippe Dubath "Zidane und ich"

Foto: Battibugli



Ich habe ein wunderbares kleines Büchlein gefunden, in dem über die Liebe zum Fußball jenseits der medialen Hysterie des Profisports nachgedacht wird. 
Vielleicht sucht noch jemand ein Weihnachtsgeschenk für fußballverrückte Jungs...
Ich bin zwar kein großer Freund von Hörbüchern, aber bei der Version, in der Matthias Brandt vorliest, kommt regelrecht Begeisterung auf: 

Philippe Dubath schreibt als Fußballspieler einen Brief an seine Frau, aus dem ich folgende Gedanken zitiere: 

„Heute Abend habe ich Lust, dir von ihm zu erzählen und dir zu erklären, warum ich ihn liebe. Warum ich morgens im Duft des letzten Kaffees und in der Eile des Aufbruchs manchmal keine Hand mehr frei habe, um deine Schulter zu streicheln. Die eine ist von der mageren Ledertasche besetzt, in der irgendwelche langweiligen Papiere schlafen. Die andere trägt einen prallen, schweren, vollgestopften Leinenbeutel, aus dem ein Geruch aus muffiger Feuchtigkeit und getrocknetem Schweiß aufsteigt. Ein Pulliärmel, der Saum eines Handtuchs oder ein erdiger Schnürsenkel baumeln heraus. Dieser Tag, das weiß ich, wird mir leicht werden: ich habe ein Rendezvous, mit ihm. 
Nein, ich habe keinen Geliebten, obwohl es wahrhaftig um Liebe geht. Zuneigung wäre zu schwach. Leidenschaft zu romantisch. Liebe ist das passende Wort für ein Gefühl, das mich seit Jahrzehnten dazu treibt, mit einem Ball an meiner Seite zu leben. Zu Hause, im Auto, im Garten, überall liegt oder rollt einer herum. 
Wenn ich ihm begegne und ihn so reglos daliegen sehe, kann ich es manchmal nicht lassen, ihn mit der Hand anzuschubsen. Aber viel lieber ertaste, erwecke, inhaliere, begehre, zitiere ich ihn mit meinem rechten Fuß. 
Ja, ich liebe den Ball von ganzem Fuße. Ich liebe Fußball...

Im Club, der uns den Vorteil bot, dass wir regelmäßig trainieren und am Wochenende echte Turniere mit echten Trikots gegen echte Mannschaften anderer echter Clubs spielen konnten, fühlte ich mich auch sehr wohl. Wir kamen aufs Spielfeld, der Trainer gab uns zwei, drei Bälle, und das war‘s, wie im Park, wie überall, wir unterhielten uns mit den Füßen. 
Ich meine, wenn du den Ball einem anderen zuspielst, ist dieser andere für dich jemand. Eine Person. Du hast ihn  gesehen, du beobachtest ihn, du nimmst ihn zur Kenntnis, er ist sofort mit dir verbunden, und ein Gespräch entspinnt sich von Fuß zu Fuß. Ihm gut den Ball zuzuspielen heißt, ihn respektieren. Ihm den Ball wegzunehmen heißt existieren. Wir sind zwei, drei, zehn, und wir lassen das so genannte Leder rollen, mit der unbewussten Gewissheit, dass es nicht von einer Sekunde zur anderen viereckig und unbeweglich sein kann, dass es weiter rollen wird, dass also jeder es früher oder später wieder berühren wird...

Wir lernten uns durch unsere Art zu spielen kennen, das ist die Realität, hier und woanders, gestern und morgen, auf jedem Niveau. Fußballspielen heißt, durch Gesten und Bewegungen, durch Ideen und Entscheidungen einen großen Teil von sich erkennen zu lassen. Fußball offenbart die Gesinnung der Menschen manchmal wahrhaftiger als ihre Worte. Er heißt jeden willkommen, aber er schmeichelt niemandem...

Wir beschimpfen uns am Montag - die Worte konnten durchaus verletzen, weil sie das Wesentliche berührten, nämlich das Fehlen von Talent und Leichtigkeit -, aber am Dienstag waren alle wieder da, hier oder dort, mit dem Ball, ohne Erinnerung an den Streit von gestern - fast ohne, seien wir ehrlich...

Manchmal, das wird dir komisch vorkommen, manchmal freute ich mich, wenn ich einen Schlag abbekam. Ich blieb liegen, und die anderen sorgten sich um mich, sie fragten mich, wie es mir gehe, ob es schlimm sei, ob ich weiterspielen könne, wie sie mir helfen könnten. Ich genoss es, mit der Nase im Gras den Leidenden zu spielen und so die Fürsorge der anderen dauern zu lassen...

Ich litt lange Zeit, wenn ich die Mädchen in Begleitung der Begabtesten unter uns davongehen sah. Aber nach einigen Jahren der Enttäuschung stellte ich schließlich fest, dass es auf der Erde viel mehr hübsche Mädchen als begabte Fußballer gibt und dass ich, auch wenn ich in den Stadien auf ewig Ersatzspieler blieb, doch eines Tages meine Chance bekommen würde...

Fußball zu spielen, nicht mal sehr gut, hindert einen nicht daran, älter zu werden und schließlich erwachsen. Im Gegenteil. Und erwachsen zu werden hindert einen nicht daran, weiter Fußball zu spielen. Mit fünfzig Jahren setze ich meine gänzlich der Anonymität geweihte Laufbahn fort und spiele immer noch...

Ich habe dir gestanden, wie erbärmlich glücklich es mich in meiner Jugend gemacht hätte, die Besseren aus meinem Gesichtsfeld verschwinden zu sehen. Heute erlebe ich den Geschmack der wahren Wehmut, wenn ich sie nicht mehr auf den Bänken in der Kabine treffe, wo sie ihre empfindlichen Körper verbanden  und bepflasterten, um noch ein Spiel, wenigstens ein Spiel noch zu schaffen. Ihr leicht ergrautes Talent, das dazu passende Gesicht und ihre Launen fehlen meinen Augen und meinem Herzen. Ich bin traurig, dass ich mit ihnen keinen Doppelpass mehr wagen und manchmal auch schaffen kann, dieses „Eins-Zwei“, wie wir hier sagen, das uns vor gar nicht langer Zeit noch für Stunden und Tage glücklich machen konnte - und wenn ich glücklich sage, meine ich wirklich glücklich...

Wir rennen nicht mehr so schnell - wobei mir meine Freunde versichern, dass ich nichts von meiner Langsamkeit verloren habe -, wir springen weniger hoch oder gar nicht mehr, unser Charakter wird im Laufe der Jahre nicht besser, wir sind nachtragender denn je. Aber wir lieben uns. Und es ist wie früher, wie gestern, man gibt uns einen Ball, und alles beginnt von vorn...

Beim Fußball kann die Intelligenz sich mit dem Alter paaren und den lahmen, ächzenden Körper  sich selbst überlassen...

Eines Tages werde ich sterben. Ich werde schon mal ein bisschen sterben, wenn ich nicht mehr spielen, keinen Ball mehr hochheben und jonglieren kann. An dem Tag, wo ich nicht mehr sagen kann, dass ich morgen vielleicht Fußball spielen gehe...“

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