Wer (wie ich) glaubt, alle Fotos von HCB zu kennen, wird mit diesem wundervollen Bildband eines besseren belehrt! Es ist eine unbeschreibliche Wonne, die Geschichten erzählenden Bilder zu beschauen (der Druck ist aber nicht gerade brillant - die Bilder sind zu hell, das sieht man im Vergleich zu anderen Reproduktionen).
Es handelt sich bei diesem Werk um den Katalog der MoMA-Ausstellung von 1987, die der Autor (und Kurator für Fotografie am Museum) in Zusammenarbeit mit Henri Cartier-Bresson in N.Y. organisierte. Hier liegt die erste deutsche Übersetzung (2007) vor, die Einleitung Galassis gilt wohl zurecht als klassischer und einer der fundiertesten Texte über einen der bedeutendsten Fotografen der Kunstgeschichte!
Ein handelt sich wohl um einen essenziellen Beitrag zur Historie der Kleinbildfotografie.
Die ersten mit der Leica aufgenommenen Bilder aus den frühen 30er Jahren (1932-1934) belegen eine eigenständige Schaffensperiode, die sich deutlich vom nachfolgenden Werk des Großmeisters unterscheidet.
(Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde HCB doch ein führender Vertreter des Bildjournalismus!)
Die Motive des Buchs sind surrealistisch geprägt, sie belegen die Ästhetik des zufällig vorgefundenen. Man kann den Text Galassis aufmerksam lesen und erfährt viel über Surrealismus (Kunsterziehung...)!
Neben wahren Ikonen findet man wenig oder erstmalig publizierte Aufnahmen, allesamt ohne den Negativrand, der bei späteren Abzügen so charakteristisch ist. Unglaublich, wie viele Meisterwerke der Künstler schon in seinen jungen Jahren schuf, mithin eindeutiger Beleg für sein Genie!
Hintergründe der einzelnen Fotos werden beleuchtet, erklärt. Das will ich oft gar nicht wissen, da Fotografie in Hochform wohl für sich spricht!
Der Text ist aber insgesamt sehr informativ und detailliert geschrieben, nicht ohne Witz. Viele Freunde und Zeitgenossen des großen Franzosen kommen zu Wort, neue Perspektiven und Zusammenhänge der Biografie werden offensichtlich, der private Bereich seines Lebens wird geöffnet.
HCB scheint als junger Mann ein rechter Springinsfeld gewesen zu sein. Lebenslustig und -hungrig zeichnete ihn (und seine Freunde) rigorose Ablehnung der modernen bürgerlichen Gesellschaft aus.
Vielleicht das Credo der Art von Fotografie vom "Foto-Gott": "Ich durchstreifte von morgens bis abends die Straßen, angespannt und sprungbereit, um zuzuschlagen, wann immer es ein Stück lebendiges Leben einzufangen galt. Ich lechzte förmlich danach, einen Vorgang, der sich vor meinen Augen abspielte, auf seinen Wesenskern reduziert in eine einzelne Fotografie zu bannen."