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Walker Evans: Decade by Decade von James Crump, Hatje Cantz (2012)
http://www.hatjecantz.de/
James Crump, der Kurator des Cincinnati Art Museums, präsentiert den Katalog zu einer Ausstellung in seinem Haus, die vom 12.06.2012 bis zu 05.09.2013 das einmalige Schaffen der Fotografieikone Walker Evans (1903-1975) unnachahmlich dokumentiert.
Die Weltbedeutung des Werks von Evans beruht auf den Fotos der Armut während Großen Depression in den 30er Jahren der Vereinigten Staaten. Seine Arbeiten aus der Zeit danach fanden bislang keine ausreichende Beachtung, sie bedurften endlich einer Neubewertung/Revision. Die bislang weitgehend unbekannte Privatsammlung von Clark & Joan Worswick lieferte zahllose einzigartige Bilder und fungiert als wichtigster Leihgeber.
Diese Monografie widmet sich endlich dem Gesamtwerk, es werden nicht bekannte und selten gesehene Aufnahmen gezeigt - in brillanter Druckqualität (auf 150 g/qm-LuxoArt Samt New). Außerdem die letzten Bilder, die Evans in den 70er Jahren mit einer Polaroid SX-70 anfertigte. So fehlen die gewohnten Meisterwerke aus dem Kanon der Kunstgeschichte, aber viele Überraschungen machen das Buch so ansehnlich. Wobei mich nicht alles überzeugt, wie z.B. einige Porträts.
Die deutsche Texte eröffnen interessante Aspekte zum Wirken Walker Evans' (die englischsprachigen kann ich nicht bewerten, da ich sie nicht verstehe):
Die Größe der Fotografie lebte 1955 sehr zurückgezogen, zeitweilig mittellos und der Trunksucht verfallen, obwohl er zwanzig Jahre zuvor schwer von der Kunstwelt gefeiert wurde. Für Kunsthändler und Kuratoren schien er nicht mehr zu existieren. Selbst das MoMA, wo seine Karriere in den 30er Jahren begann, ignoriere Walker Evans konsequent, wobei er daran aber nicht ganz schuldlos war: Die Arbeiten des neuen Kurators für Fotografie Edward Steichen bezeichnete er als "eine auf Abwege geratene Fotografie", dessen legendäre Ausstellung "The Family of Man" lehnte er als "sentimentale Fotografien der Menschheitsfamilie" ab, er titulierte Steichen gar als "Werbefritze"...
Der 52-Jährige arbeitete zu der Zeit für das Magazin Fortune, eine Tätigkeit, auf die er nicht sonderlich stolz war.
Dort suchte ihn der junge, talentierte John Szarkowski auf, um seinem "Gott der Fotokunst" eigene Arbeiten vorzustellen. Diese Begegnung sollte Folgen haben...
1962 übernahm der weitgehend unbekannte Szarkowski völlig überraschend die Sammlung Fotografie des MoMA in New York.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen allgemein bekannten, aber seltener ausgesprochenen Sachverhalt hinweisen. Museen und Galerien konstruieren mit dem Künstler, oft gegen seine eigene Intention, Bedeutung und Wert eines Kunstwerks! Und Kritiker knüpfen an diesen Prozess an. D.h. einfach, dass die öffentliche Bewertung eine nachdrückliche Rolle für das Verständnis einer Schöpfung spielt, nicht nur die vom Künstler geschaffene Arbeit selbst.
Szarkowski und Evans waren enge Freunde geworden. Meister Evans, ein vollendeter Gentleman, war sich offensichtlich nicht zu fein, einen gewissen Opportunismus in seine professionellen Beziehungen einfließen zu lassen, wechselseitiges Geben und Nehmen war eine gute Möglichkeit, seine Ziele zu verfolgen. Mit seinem Schutzpatron am Ruder des Maßstäbe setzenden MoMA konnte er positiv in die Zukunft blicken, Szarkowski proklamierte leidenschaftlich die Vormachtstellung seines Helden. Und Evans war für die allgemeine Aufmerksamkeit mehr als bereit, er initiierte eine Art Werbekampagne, die seinem künstlerischen Schaffen zu höchstem Ruhm verhelfen sollte.
John Szarkowski organisierte 1971 eine Einzelausstellung mit 202 Fotografien in seinen heiligen Hallen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass er glaubte, die wichtigsten Aufnahmen Evans' sind 1935/36 entstanden. Diesen berühmten Motiven aus achtzehn Schaffensmonaten folgten Bilder von minderer Qualität, die von wenig Inspiration zeugen. Aus der Zeit nach 1940 werden nur 33 Exponate gehangen. Natürlich verärgerte diese Einschätzung den Lichtbildner kolossal, zumal er beständig an den gleichen Themen arbeitete.
Der Kurator meinte: "Es ist schwer festzustellen, ob Evans das Amerika seiner Jugend dokumentierte oder ob er es vielmehr erfand. Die Arbeit hat eine Kraft, uns von etwas zu überzeugen, das in Wirklichkeit niemals existierte."
Die epochale Ausstellung wurde am 26.01.1971 eröffnet. 90 Gäste - die damalige Kunstwelt war in N.Y. erschienen, und der Champagner floss in Strömen...
Es gab aber auch kritische Stimmen, Sammler waren verstört, da die (von Herrn Dow gefertigten) Neuabzüge so wenig den Originalen entsprachen - "uniforme Abzüge eines Fotolaboranten". Dazu muss man wissen, dass Walker Evans die Dunkelkammerarbeit verachtete, er zeigte häufig schlampig gefertigte Bilder, die mitunter für Bücher auch beschnitten wurden.
Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten veräußerte er bis 1974 sein Archiv und alle Originalabzüge. Mittlerweile gab es nämlich die ersten Sammler für Fotografie.
Jedenfalls war das Ansehen von John Szarkowski und Walker Evans fortan eng miteinander verknüpft. Der Fotograf geriet in der späten Lebensphase auf Erfolgskurs und das Ansehen Kurators stieg immens, da er einen Außenseiter ins Rampenlicht stellte.
John Szarkowski: "Das Gewöhnliche ist es wert, betrachtet zu werden, ebenso wie der Mut, dies mit einem Minimum an theoretischem Überbau zu tun."
Der Bildband ist zurzeit vergriffen und könnte bei mir ausgeliehen werden.