Samstag, 29. Januar 2011

"Another Year" - Mike Leigh

Foto: Jabs




Ganz großes (und sehr kluges) Kino! 
"Another Year" von Mike Leigh

Das erste Mal habe ich einen Film am Tag nach dem Kinostart gesehen. So besteht die Chance, Leute zeitig auf ein "Meisterwerk der Lichtspielkunst" hinzuweisen. 
Der Streifen beginnt nicht nur äußerst langsam, er hält dieses Tempo bis zum elegischen Ende durch. Schön gegliedert durch Wiederholungen: Szenen aus dem Schrebergarten der Filmhelden lässt einen vermeintlichen Spießerort fast angenehm werden (hier wirkt die ohnehin grandiose Filmmusik - Gary Yershon - ganz besonders). Wie das alte Ehepaar eng nebeneinander in seinem Unterschlupf sitzt, Tee trinkt, redet und dem Regen trotzt, lässt das Herz aufgehen. Ein wunderbares Motiv! Ständig kehrt man in eine häusliche Idylle zurück, um Freunden und der Familie Halt zu geben. Ein unverschämt still glückseliges Paar - fast penetrante Gutmenschen - lässt die alltäglichen Verlierer in ihrer Leere besonders traurig aussehen. Unterstrichen wird das Bild durch den dicken langjährigen Freund mit einem Alkoholproblem, der allen Ernstes ein Nicki mit dem Aufdruck "Less Thinking - More Drinking" trägt! Und der Verlierer gibt es in Mike Leighs Filmen unzählige! Und alle gewinnt man irgendwie lieb. Im Verlauf der Geschichte bemerkt man früher oder später, dass nichts Spektakuläres passiert. Trotzdem baut sich eine Spannung auf, die einzig darauf basiert, dass die ausnahmslos tollen Schauspieler den Film mit ihrer Schauspielkunst tragen, das gelingt prächtig. Man gerät unbewusst in eine leichtfüßige Dynamik. Der Regisseur überträgt seinen Akteuren diese Verantwortung schon vor Drehbeginn, denn alle entwickeln ihre Charaktere selbst, aber ohne die anderen Rollen zu kennen. Gefilmt wird dann nur drei Monate: Low Budget... Grandios, dass keine Schönchen besetzt werden. Der Meister zelebriert lebensschöne (welch vorzügliches Wort!), von allgegenwärtiger Einsamkeit erzählende Gesichter. Unglaubliche Wirkung erzielen sie durch permanente Nahaufnahmen. Ich habe noch nie so viele Nahaufnahmen im Kino gesehen! Man sieht unendlich viele Falten um überschminkte Augen einer überdrehten, hysterischen, vereinnahmenden Frau (die Synchronstimme ist leider grausam), die als Figur schauspielert. Und nicht mal die wird irgendwann unsympathisch! Der Zuseher leidet mit Losern. 
Another Year ist kein dialogschwerer, sondern ein immer amüsanter, nichtdestotrotz aufrührender und nachhaltiger Film, über den man endlos zu diskutieren vermag. Die Combo Fehlfarben sang dereinst: "Hab das Leben gesehen, bin im Kino gewesen!"         

http://www.kino-zeit.de/filme/another-year

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